Veröffentlicht Samstag, 13.06.2020 von Dr. med. Christian Gersch
Als ich als Notarzt beziehungsweise als Stationsarzt auf der Intensivstation arbeitete, kam ich mit vielen Patientenschicksalen in Berührung. Wie rasch schwere Krankheit und auch der Tod einen ereilen können, wurde mir immer wieder vor Augen geführt. Dabei kam ich auch immer wieder mit Patientenverfügungen in Kontakt. Und größtenteils waren dies leider schlecht gemachte Patientenverfügungen. Standardtexte, die für typisch eintretende Situationen ungeeignet sind. Regelungen, die zu anderen Dingen führten, als die Menschen wollten.
Lassen Sie mich ein typisches Beispiel bringen, was ich damit meine:
Ein krebskranker Patient mit schlechter Prognose erstellt eine Patientenverfügung, denn er will in Frieden zu Hause im Kreise seiner Familie versterben. Dafür verwendet er die offiziellen Textbausteine für eine schriftliche Patientenverfügung des Bundesjustizministeriums. Daraus wählt er die folgende Formulierung, die sich genau so in 100.000enden Patientenverfügungen findet:
»Wenn ich infolge einer Gehirnschädigung meine Fähigkeit, Einsichten zu gewinnen, Entscheidungen zu treffen und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, nach Einschätzung zweier erfahrener Ärztinnen oder Ärzte (können namentlich benannt werden) aller Wahrscheinlichkeit nach unwiederbringlich erloschen ist, selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist. Dies gilt für direkte Gehirnschädigung z. B. durch Unfall, Schlaganfall oder Entzündung ebenso wie für indirekte Gehirnschädigung z. B. nach Wiederbelebung, Schock oder Lungenversagen. Es ist mir bewusst, dass in solchen Situationen die Fähigkeit zu Empfindungen erhalten sein kann und dass ein Aufwachen aus diesem Zustand nicht ganz sicher auszuschließen, aber unwahrscheinlich ist (...) dann wünsche ich, dass alle lebenserhaltenden Maßnahmen unterlassen werden. Hunger und Durst sollen auf natürliche Weise gestillt werden, gegebenenfalls mit Hilfe bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Ich wünsche fachgerechte Pflege von Mund und Schleimhäuten sowie menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege und das Lindern von Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Angst, Unruhe und anderer belastender Symptome. (...) Ich möchte zu Hause sterben.«
Dieser Patient erbricht sich plötzlich und verliert rasch das Bewusstsein, der Rettungsdienst wird spät in der Nacht auf Samstag alarmiert. Der hinzugezogene Notarzt diagnostiziert eine schwere Hirnblutung, von der der Patient sich wahrscheinlich nicht mehr erholen wird. Dann liest er die Patientenverfügung, um zu entscheiden, was jetzt zu tun ist.
Faktisch hat der Patient genau für einen solchen Fall eine Regelung getroffen, nämlich, dass er ohne Schmerzen zu Hause versterben darf. Allerdings trifft der Text eine wichtige Einschränkung: »nach Einschätzung zweier erfahrener Ärztinnen oder Ärzte«. Der Notarzt ist nur ein Arzt. Die Patientenverfügung gilt also nicht. Um sich nicht der unterlassenen Hilfeleistung strafbar zu machen, transportieren Notfallsanitäter und Notarzt diesen Patienten jetzt ins Krankenhaus. Aufgrund der Bewusstlosigkeit und des Erbrechens ist es vor dem Transport medizinisch notwendig, einen Beatmungsschlauch einzuführen und den Patienten künstlich zu beatmen, denn ansonsten könnte der Patient daran ja versterben. Als er so ins Krankenhaus kommt, wird eine Computertomografie angefertigt, die die Hirnblutung mit »hoffnungsloser Prognose« zeigt. Aufgrund des eingeführten Beatmungsschlauchs kommt der Patient dann aber erst einmal auf eine Intensivstation. Schließlich lässt man das Versterben des Patienten dort zu (übrigens immer noch an der Beatmungsmaschine), nachdem endlich zwei erfahrene Ärzte entscheiden konnten, dass die Patientenverfügung erfüllt ist.
Der eigentliche Wille des Patienten wurde also zunächst nicht befolgt. Weil die Patientenverfügung schlecht formuliert war.
Verlassen Sie sich deshalb bei so wichtigen Dingen nicht auf unpassende Textbausteine und lassen Sie sich bitte ausführlich beraten. Um eine gute Patientenverfügung zu erstellen, die am Ende nur eine dreiviertel DIN-A4-Seite füllt, muss man mit einem in Intensiv- und Notfallmedizin erfahrenen Gegenüber etwa eine gute Stunde lang über diverse Fragen zu den ganz persönlichen Ansichten sprechen, Gedankenkonstrukte (»was wäre wenn ...«) durchspielen, bis in dem Text das steht, was man wirklich will. Und ich kann Ihnen sagen, ich bin überrascht, wie unterschiedlich die Texte am Ende werden, wenn ich meine Patientinnen und Patienten dazu berate.
[Beitragsbild: Ausschnitt aus »Tod eines Geizhalses«, Hieronymus Bosch, ca. 1485/1490]
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